“A Fabulous Opportunity” by Phillip Hutten, Vienna

Crime and Punishment July 17, 2011 18:21

topic: CRIME AND PUNISHMENT medium: TEXT

as shared at a PenTales event themed “Crime and Punishment”


Ich hatte noch nichts gefangen, alles schien so wie immer zu laufen, auszusehen, der See, an der betreffenden Stelle an der ich immer stand, Sonntags um diese Zeit.Die regelmäßigen Kirchenbesuche hatte ich ohnehin schon vor Jahren eingestellt, für mich war Hoffnung ein eher beunruhigender Gedanke. Ich konnte damit nicht umgehen. Sonntags angelte ich. Als Kind war meine Lieblingsfarbe vermutlich beige, ich weiß nicht mehr viel aus meiner Kindheit.Ich stand nie im Mittelpunkt, wurde beim Schulsport eher als einer der Letzten in die Mannschaft gewählt. Heute habe ich keine Lieblingsfarbe mehr.

An meine Mutter kann ich mich nicht erinnern.Ich arbeitete alleine, hier im Ort im Katasteramt, mein erster Job, ich galt als routiniert. Meine Vertretung hatten sie mir schließlich auch wegrationalisiert. Ich hatte keine Perspektiven, aber auch keine ernsthafte Sorgen, auch wenig Gesellschaft, es hätte wohl niemand bemerkt, wenn ich nicht arbeitete, oder wenn ich einen Sonntag nicht hier erschienen wäre. Es kamen hier selten Leute vorbei. Und sehr viel weiter weg als bis zur Arbeit bin ich noch nie gefahren. Überhaupt bemerkte man mich selten irgendwo. Frauen bemerkten mich noch weniger.Ich war mir sogar ziemlich sicher, keine besonderen Interessen zu haben. Und ich fand auch das nicht ungewöhnlich. Ich war einfach nur da, das genügte mir vollauf.Meine anfangs noch ernst gemeinten Versuche, ein unzufriedener Mensch zu werden, um vielleicht wenigstens nicht langweilig zu sein, scheiterten ebenso gleichgültig wie meine halbherzigen Bemühungen, mir höhere Ziele zu setzen oder gar Träume zu haben. Das Angeln aber erfüllte mich irgendwie, und ich hatte immer ein gutes Gefühl dabei. Auf meinen Angelschein bin ich immer noch ein bisschen stolz, viele Scheine habe ich ja nicht.Ich war also an genau dieser betreffenden Stelle am See, und wie immer nahm ich den süßlichen Geruch der nahen Sulfidfabrik nicht war, ich hatte den gleichen Köder wie sonst gewählt und hatte ich mir nichts weiter vorgenommen, wollte den Abend wie gewöhnlich allein zu Hause zu verbringen, das tat ich am liebsten. Ich dachte gerade wie meistens an nichts,  das weiß ich noch genau, als er anbiss. Da war sie plötzlich, die Chance.

Meine Routine wurde mir fast zum Verhängnis, jeden Fisch unter 20cm werfe ich normalerweise sofort wieder weg, so ein Ehrenkodex von mir, da bin ich etwas eigen. Aber diesen Fisch warf ich nicht sofort weg, dieser war anders, sah wohl ganz  so aus wie die anderen Fische auch, etwas mager zwar, ein Hering unter Fischen eben, und er zappelte so jämmerlich hastig in der Luft – aber er sprach. Es war mir sofort klar, dieser Fisch sprach ganz deutlich. Ich wollte gar nicht daran zweifeln, es erschreckte mich gar nicht, dieser Fisch sprach mich an. Mich. Es war natürlich etwas ungewohnt, hatte mich doch zuletzt vor etwa sechs Wochen eine freundliche Dame am Telefon angesprochen, die mir ein Gratis Zeitungs-Abonnement schenken wollte. Ich war damals so enttäuscht von mir gewesen, weil ich ja generell keine Zeitungen lese.Dieser Fisch sprach mich also an. „Lieber Herr Fischer, lass mich frei, dann will dich reich belohnen, ich kann Dir Träume erfüllen. Lass mich einfach rasch wieder frei, dann werde ich Dir drei Wünsche erfüllen. Nenne mir einfach drei Wünsche, bitte glaube mir, Ich kann Dir diese Wünsche erfüllen, was es auch sei, aber du musst mich freilassen“Dumpf schlugen in mir kindliche Phantasien hoch, und ich schloss messerscharf: Wenn dieser Fisch reden kann, dann könnte auch an dem Vorschlag etwas dran sein. Ich wollte es in diesem Moment einfach glauben:Ich platzte, plötzlich schien da eine Chance, ich kannte ja kaum den Begriff, schlagartig waren die Wünsche da, sie hatten gar nicht auf sich warten lassen, sie barsten schlicht aus mir heraus. „Einen großen schwarzen Mercedes bitte, ein großes Haus mit Swimmingpool und viele schöne Frauen, junge Frauen aus aller Herren Länder, das waren doch drei Wünsche?“ Und sofort löste ich den Fisch viel ungeschickter als sonst vom Haken und warf ihn zurück ins Wasser. „So sei es also!“ rief der Fisch noch schnell, bevor er wieder vom See geschluckt wurde. Ich wusste nicht, ob ich das geschehne bereuen sollte, war es überhaupt geschehen? Ich war jedenfalls schockiert über meine Wünsche, vielmehr dass ich überhaupt welche hatte. Es war mir nicht einmal aufgefallen, dass ich alleine gewesen war, es war alles so schnell gegangen. Schnelle Erklärungen hätte ich so plötzlich doch nicht parat gehabt. Ich wurde unruhig und ging auf und ab, den Geruch der Fabrik roch ich immer noch nicht, aber ein warmes Gefühl der Hoffnung machte sich plötzlich breit, viel breiter noch als Zweifel an meiner Wahrnehmungskraft. Plötzlich schien alles möglich. Womöglich spiegelte sich im See ein Lächeln in meinem Gesicht.

Euphorie ist mir bis zu diesem Moment ein ebenfalls unbekanntes Gefühl gewesen. Und obwohl ich mir einredete, dass ich gerade ein Hirngespinst hatte und mich wie immer auf einen gemütlich langweiligen Abend einstellte, flogen meine übrigen Köder im hohen Bogen ins Wasser. Irgendwie ging auch das Zusammenschieben der Angel und Einpacken der Sachen schneller – ich wollte schneller als sonst wieder nach Hause. Ich wanderte also schneller zurück an den Parkplatz, um dort in meinen geleasten grauen Nissan Primera zu steigen, was wäre wohl wenn der….. Gedanken über Gedanken schossen mir durch den Kopf, alles war auf einmal so anders und sonderbar unbequem. Wo war die gewohnte Routine?  Am Parkplatz musste feststellen, dass mein Auto weg war, stattdessen stand ein großer schwarzer Mercedes an der betreffenden Stelle. –  Ungläubig und etwas ängstlich fuhr ich in die Hosentasche und zog einen elektronischen Schlüssel heraus, der Wagen öffnete sich, sobald ich näher kam. Hätte ich vorher Träume und Wünsche gehabt, hätte meine Phantasie vermutlich nicht ausgereicht, um mir ein so teures Auto vorzustellen, ich vermute nur, so habe ich mir das Auto eben gewünscht,  in dem betreffenden Moment, der gerade mein Leben zu verändern schien. Getönte Scheiben, im Inneren war alles mit Holz verkleidet, sogar eine kleine Minibar gab es in der Mittelkonsole.Ich schaute mich noch schnell um, ob es nicht doch eine Verwechselung gewesen sein könnte und stieg ein. Sofort stellten sich die Sitze und das Lenkrad automatisch auf meine Größe ein. Was es nicht alles gibt, dachte ich kurz, genoss den Moment und fuhr nach Hause. Was für ein Auto. Irgendwie fuhr ich schneller als sonst. Ich konnte es schon von weitem sehen, an der Stelle meiner Doppelhaushälfte, die ich seit ich denken kann bewohne, war nichts als eine geschwungene Allee hinter einem Torbogen zu sehen, die Villa am Ende war nur zu erahnen. Das Haus meines Nachbarn war einfach weg. Ein dunkel gekleideter Wachmann grüßte mich freundlich, als sich die Schranke automatisch öffnete. Irgendwoher schien mir sein Gesicht vertraut. Das Gebäude ließ keinen Zweifel daran, dass man sich Mühe gemacht hatte, plötzlich konnte ich den neuen Hauschlüssel in der Tasche schon fühlen. Trotz Klimaautomatik stieg mir der Geruch von frisch gemähtem Gras und ein wenig Chlor in die Nase. Ein eigentümlicher Geruch. Es war nicht schwer, die Parkplätze zu finden, sogar an ein Tennisplatz war da. Das großzügige Haus erinnerte eher an eine Festung. Meine Versuche, die Zimmeranzahl von außen abzuschätzen, schlugen fehl. Im einladenden Foyer war ein Springbrunnen angelegt, rechts und links führten Wendeltreppen zu einer ausladenden Galerie hinauf, fast überall, oben, auf allen Stufen und am Brunnenrand saßen zahlreiche junge Frauen, für die meine Vorstellungskraft niemals ausgereicht hätte. Alle lächelten verführerisch, als ich die Tür aufschloss. Im Garten ging es vergleichbar weiter, man hatte wirklich an alles gedacht. Alles an das ich nie gedacht hatte. So glaubte ich es.  Ich brauchte noch lange, bis ich die gesamte Anlage begriffen hatte und verstand, dass dies alles fortan meins sein sollte.Nun lebte ich also in dieser Welt und mir bis dahin fremden Begriffe wie Gesellschaft, Party, Sex, Drogen und so weiter, wurden mir vertraut. Aber ich stellte all das wie gewohnt gar nicht in Frage, ich nahm mir was ich brauchte, tat was ich wollte und lebte wie betäubt mein Leben – exzessiv. Es schien ja alles möglich. Nur zufriedener wurde ich nicht. Auch nicht mir der Zeit.Nach vielen Monaten machte sich zunehmend mein Gewissen bemerkbar, zuerst selten, bald aber rissen mich nächtliche Alpträume aus dem Schlaf und ich verspürte immer häufiger den dringenden Wunsch, mich bei dem Fisch zu bedanken, der mir offenkundig zu einem solchen Leben verholfen hatte. Ich wollte mich bedanken, ich wollte noch mal zu diesem Fisch.

Angeln verlernt man ja nicht, es ist wie mit dem Fahrradfahren, so dachte ich und es zog mich wieder regelmäßig zu der betreffenden Stelle am See, immer sonntags, und wieder kam selten jemand vorbei.Als der schmächtige Fisch wirklich ein zweites Mal anbiss, begann er wieder sofort zu sprechen: „Lieber Herr Fischer, lass mich frei, ich will dich reich belohnen, ich werde Dir noch drei Träume erfüllen. Lass mich einfach rasch wieder frei, dann werde ich Dir drei Wünsche erfüllen. Nenne mir drei Wünsche, glaube mir, Ich kann Dir diese Träume erfüllen, was es auch sei, du musst mich nur freilassen“Kurz war ich versucht, daraus erneut Nutzen zu schlagen, aber mein erklärtes Ziel war es ja mich zu bedanken, und fragte also den Fisch, womit ich ihm eine Freude machen könne. „Ich will keinen Dank, ich möchte in Ruhe leben, wenn Du mich frei lässt ist das Dank genug, du hast mir doch  schon einmal das Leben geschenkt“. Ich war aber nicht zufrieden, ich wollte dem Fisch einen richtigen Gefallen tun, und fragte ihn nach einem Wunsch. Der Fisch lehnte abermals ab und sagte, seinen Wunsch könne man nicht erfüllen. „Lass mich einfach frei, dass wäre mehr als genug Dank.“ Ich wollte mich damit aber nicht abfinden und bohrte weiter: „Was kann ich dir Fisch denn für einen Traum erfüllen?“ Es ging so eine Weile hin und her, bis der Fisch schließlich nachgab: „Das einzige, was Du tun kannst, ist  – nein, das geht nicht!“ … „Doch,  sag es, ich will mich bei dir bedanken“. Der kleine Fisch aber widersprach erneut. „Es geht nicht. Es kann nicht gehen, also nenne Du mir drei Wünsche, wenn Du mich dann freilässt ist es Dank genug.“ Aber ich wollte es jetzt wissen, Ich musste diesem Fisch irgendwie danken. „Gibt es wirklich nichts, was Dir tun kann? Da sagte der Fisch: Mein innigster Wunsch wäre es wenn du, wenn Du mich – also manche sagen dazu miteinander schlafen, oder so Äh—— also wenn Du mich FXXYZT —– Jetzt ist es raus. Du hast es ja so gewollt“Ich war schockiert und verstand überhaupt nichts. „Das geht doch nicht, ich meine, Du bist ein Fisch und ich bin ein Mann, das funktioniert nicht.“ „Ich weiß, entgegnete der Fisch, es geht nicht, ich habe es schon so oft gesagt, also laß’ mich einfach frei.“Mein Wunsch mich zu entschuldigen aber wurde immer brennender und ich sah keinen anderen Ausweg: Ich überlegte noch kurz, stellte wieder einmal fest, dass ich vollkommen alleine war, riß mich zusammen, murmelte so etwas wie „Also gut“ und machte mich über den kleinen Fisch her. Es ging, irgendwie. Und dann – ganz plötzlich, – aus heiterem Himmel verwandelte sich der Fisch schlagartig in dieses 13-jährige blonde Mädchen, und das müssen Sie mir einfach glauben, Frau Richterin. So kam das. So war das.

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